Ki-Projekt

Offen in alle Richtungen

Es gibt Denken und Nichtdenken. Ein und derselbe Mensch denkt oder denkt nicht, wie Wasser, das sich mal bewegt und das mal still ist.

Unser Bewusstsein sollte im Idealfall gleichermaßen die Erfahrung des Denkens wie des Nichtdenkens umfassen. Nur stilles Wasser spiegelt die Wirklichkeit wie sie ist, nur in der Stille erkennen wir unser Einssein mit dem Ganzen. Wir können dank des Denkens unterscheiden, dank des Nichtdenkens aber bleiben wir verankert in der sinnlichen Wirklichkeit. Ein Bewusstsein, das weder im Denken noch im Nichtdenken zentriert ist, ist universell. Wäre es zentriert im Nichtdenken, wäre es stumpf und lebensunfähig, zentriert im Denken aber ist es verloren in jene Gegensätzlichkeit, die Sprache ausmacht. Es geht also weder um Denken, noch um Nicht- denken, sondern um ein Bewusstsein des Ganzen, um das geerdet Sein des Denkens in der sinnlichen Wirklichkeit.

Ewiger Augenblick
Solange unser Bewusstsein „verhext ist durch die Mittel der Sprache“ (Wittgenstein), solange streben wir nach Glück, Sinnlichkeit, Präsenz, Offenheit usw., ohne jedoch jemals das Gefühl zu haben endgültig angekommen zu sein. Wir sehen uns zwar ständig auf dem Weg der Annäherung, doch letztlich bleiben diese Ziel getrennt von diesem Augenblick. Im Gegenteil, „angekommen“ oder „fertig“ zu sein, kommen uns wie Anmaßungen vor, und die Behauptung, dass es in dieser Angelegenheit nichts zu tun geben soll, bleibt vollkommen unverständlich. Tatsächlich aber sind wir vom Ursprung her offen, selbstbewusst, sinnlich, effektiv, usw. Ein verspannter Mensch ist ein entspannter Mensch, der sich verspannt. Ein ineffektiver Mensch ist ein effektiver Mensch, der sich selbst im Weg ist. Wir müssen uns also nicht öffnen, sondern nur damit aufhören, uns zu verschließen. Es ist unsinnig, Stärke anzustreben, wenn wir nicht damit aufhören, uns selbst zu schwächen, sonst ist unser Handeln so effektiv wie das Schwimmen gegen den Strom. Dieser Widersprüchlichkeit ist jedoch weitgehend unsichtbar, weil sie normal ist.

Nichts ist falsch an Verspannungen oder Schwäche, sofern das umfassende Wahrnehmen von Haltung und Balance gestört sind. Deshalb liegt das Geheimnis der Effektivität in den Kampfkünsten nicht in fernöstlicher Technik, sondern in natürlicher Bewegung, in realer Integrität. Wir sind Teil dieses Planeten und in jeder Zelle ist der Ausgleich der Gravitation angelegt. Deshalb unterliegen nur jene der Anziehungskraft, die ihre Leichtigkeit verloren haben. Das sind jene die glauben, einen Körper zu haben. Tatsächlich identifizieren sie sich nur noch mit dem Verstand. Aus der Distanz heraus streben sie nach Körper- oder Selbstbeherrschung, vollkommene Kontrolle aber basiert auf Integrität, sie setzt ein Selbstbewusstsein voraus, welches das Fühlen ebenso umfasst, wie die Leistungen des Verstandes. Es gilt: „Wer sich vom Denken befreit, befreit gleichzeitig das Denken“.

Eigentlich ist es unspektakulär, dass wir mit dem Kraftaufwand, mit dem man mit einem Taschentuch winkt, starke Menschen bewegen können. Wir sind reine Energie, reine Intuition. Das Normale – das was wir kennen – ist das Potential von Menschen, die uneins sind mit sich selbst. Das schließt ausdrücklich die rationalen Fähigkeiten mit ein.

Ein Karate-Meister nannte „richtiges Stehen“, „richtiges Gehen“, „richtiges Atmen“ als Geheimnis des Karate und Morihei Ueshiba, der Begründer des Aikido, bezeichnete natürliche Bewegung als das Geheimnis der Effektivität in den Kampfkünsten. Richtiges Stehen ist schon eine großartige Sache, doch noch besser ist es, eins zu sein mit sich selbst und diesem Augenblick. Wer sich selbst realisiert, der ist jenseits von richtig und falsch, wo ist da noch die Gefahr, seinen Mittelpunkt zu verlieren? Jenseits von richtig und falsch, ist der negative Zustand aufgehoben, der „positives Denken“ nötig erscheinen lässt. Auch die Frage nach dem Alter oder der Begabung stellt sich nicht mehr. Jede Frau, jeder Mann ist fähig zu natürlicher Bewegung. Der mentale Zustand des Flow steht für das Einssein mit sich selbst, für Offenheit und Präsenz.

Effektivität und Präsenz durch inneren Frieden
Bewegung führt nicht nur zur Beweglichkeit, sondern im Idealfall zu einem optimalen Zustand, den man als Flow bezeichnet. Doch nicht nur im Aikido-Zen, sondern auch in der Meditation der Zen-Mönche geht es um nichts anders, als um einen „offenen und fließenden Geist“ (Zen-Meister Dogen), dem Zustand also, in dem der ganze Mensch sichtbar wird. Seit einiger Zeit weisen Psychologie und Neurophysiologie vehement darauf hin, dass dieser mentale Zustand auch unseren Alltag berührt, dass er identisch ist mit dem Erleben von Glück. Ein offener und fließender Geist also als die gemeinsame Bedingung für Effektivität und Präsenz wie für Glück.

Aikido-Zen wird zur Gruppe der japanischen Verteidigungskünste gezählt, deren ursprüngliches Ziel darin bestand, den Samurai zu befähigen, sich selbst am Rande des Abgrundes von Leben und Tod noch frei bewegen zu können. Da hierfür eine Schulung des ganzen Menschen notwendig ist, kam es in der Kamakura Periode (1185 – 1333) zu einer Annäherung der Samurai an den Zen-Buddhismus, dessen kontemplative Schulung auch eine Auseinandersetzung mit dem Tod beinhaltet. Die absolute Dimension des Aikido-Zen, die den Menschen zur Ergründung seiner Identität im Ganzen führt, hat im Zen ihre Wurzeln.

Die Samurai gehören der Vergangenheit an, die Besinnung auf unsere Integrität jedoch ist notwendiger denn je. Freiheit, Offenheit und Selbstvertrauen, aber auch Durchsetzungsvermögen, Intuition und Kreativität haben einen weitaus höheren Stellenwert als die Idee des Wettkampfes. Obwohl Aikido-Zen genau wir zur Zeit der Samurai zur optimalen Verteidigungsfähigkeit führt, muss man doch erkennen, dass Präsenz sich selbst genügt. Wie der Zen-Bogenschütze sich darin schult, auf die Unendlichkeit zu zielen, um mit dem Geist der Absichtslosigkeit sicher die Scheibe zu treffen, so müssen wir im Aikido-Zen Selbst und Selbstverteidigung fallen lassen, um zu einer umfassenden Präsenz zu gelangen.

In den Spitzen der Leistungspyramiden finden wir natürliche Bewegung. Menschen, die dort angekommen sind, erleben sich als eins mit ihrem Tun, als eins mit sich selbst. Derartige Integrität steht für Effektivität, Selbstvertrauen, Glück und innerem Frieden. Anfänger – und das gilt nicht nur für den Sport – bewegen sich schlecht und sind sich selbst im Weg, Fortgeschrittene bewegen sich gut, die „Meister“ aber sind eins mit sich selbst und ihrem Tun. Das drückt sich aus in natürlicher Bewegung. Ich lehre mittels der Methode des Aikido-Zen, wie man aufhört, seine Integrität und innere Balance zu behindern. Beenden Sie den Unsinn, der emotionalen Intelligenz, der Intelligenz des Körpers oder den Humanen Ressourcen hinterherzulaufen. Der Intelligenz des Körpers steht die Dummheit gegenüber, sich in einen Gegensatz zu setzen zum Körper, weshalb Bodhidharma lehrte: „solange du einen Körper hast, solange leidest du“. Jegliche Störung, jegliches Leid, jegliche Schwäche basiert auf dem Mangel an Integrität.